Interview: 20-jähriges Jubiläum Vater-Kind-Gruppe in der JVA Nürnberg
Die Vater-Kind-Gruppe in der JVA Nürnberg feiert ihr 20-jähriges Bestehen! Stephanie Schmidt und Beate Wölfel berichten im Interview über die bewegte Geschichte der Vater-Kind-Gruppe, die inhaftierten Vätern ermöglicht, trotz Haft aktiv in der Erziehung ihrer Kinder mitzuwirken. Von rührenden Wiedersehen bis hin zu organisatorischen Herausforderungen – das Projekt zeigt, wie Vertrauen und eine enge Zusammenarbeit mit der JVA Nürnberg zum Erfolg führen. Zudem blicken sie auf spannende Zukunftsideen.
Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! Könnt ihr uns einen Einblick in die Geschichte und die Entstehung der Vater-Kind-Gruppe geben?
Beate: Die Vater-Kind-Gruppe war ein Projekt der Beratungsstelle für Angehörige von Inhaftierten im Jahr 2004 und wurde durch die Aktion Mensch gefördert. Hintergrund war, dass wir zwar schon viele Jahre Angehörige von Inhaftierten in allen Fragen rund um die Haft beraten haben, aber festgestellt haben, dass Kinder vom Strafvollzug weitestgehend ausgeschlossen waren. Sie sind aber direkt von der Inhaftierung des Elternteils mitbetroffen! Deswegen wollten wir ein Angebot schaffen, dass die Kinder in den Fokus nimmt und den Bedürfnissen der Kinder und der Beziehung zwischen inhaftierten Vätern und ihren Kindern gerecht wird.
Kannst du genauer erläutern, was genau die Vater-Kind-Gruppe ist?
Beate: Sehr gerne. Die Vater-Kind-Gruppe ist ein Kooperationsangebot zwischen der JVA Nürnberg und dem Treffpunkt e.V. Das heißt, eine Mitarbeiterin von Treffpunkt e.V. und eine Sozialdienstmitarbeiterin der JVA organisieren die Gruppe und führen sie gemeinsam durch. Ziel ist es, die Väter auch während der Haft in ihre Erziehungsverantwortung einzubeziehen sowie die Beziehung zwischen dem inhaftierten Vater und dem Kind zu stärken und aufrecht zu erhalten – gerade auch im Hinblick auf die Zeit nach der Entlassung.
Steph, du führst die Vater-Kind-Gruppe gerade durch. Wie läuft so eine Gruppe typischerweise ab?
Stephanie: Die Gruppe findet alle zwei Wochen immer am Dienstagnachmittag statt. In der Regel werden die Kinder von ihren Müttern oder anderen Angehörigen gebracht und von mir in Empfang genommen. Ich gehe mit den Kindern ohne die Mütter gemeinsam zur Anmeldung am Hoftor rein. Dort gibt es dann eine Sicherheitskontrolle. Die Kinder müssen ihre Ausweise abgeben, gehen durch die Sicherheitsschleuse und werden dabei von mir begleitet. Teilweise gehen die Kinder schon sehr routiniert und selbstverständlich rein, weil sie schon länger dabei sind. Für manche Kinder ist das aber auch noch ein sehr aufregender Moment. Anschließend dauert es nicht lange, bis wir in den Gruppenraum kommen, wo die Väter schon auf ihre Kinder warten. Das ist eine sehr herzliche Begrüßung! In den kommenden zwei Stunden haben die Kinder Gelegenheit, gemeinsam mit ihren Vätern etwas zu basteln, das von uns vorbereitet wurde. Dieses Angebot können sie gerne nutzen, müssen es aber nicht.
Es gibt noch andere Möglichkeiten, sich zu beschäftigen: Die Kinder können mit ihren Vätern diverse Brettspiele spielen, aber auch einfach die Zeit miteinander verbringen und die Möglichkeit nutzen, Körperkontakt zu halten. Dann sitzen die Kinder bei ihren Vätern auf dem Schoß und erzählen von ihrem Alltag, was in der Schule und in der Familie los ist – oder vielleicht auch im Sportverein. Dabei konzentrieren sich Vater und Kind sehr aufeinander und jede Familie hat meist ihren eigenen „Raum“ im Zimmer.
Es läuft eigentlich immer sehr harmonisch ab, weil es eine sehr besondere und konzentrierte Zeit ist – eine sehr kostbare Zeit.
Zum Ende räumen alle gemeinsam auf und dann wird sich verabschiedet. Ich begleite die Kinder wieder nach draußen, wo sie von ihrem anderen Elternteil in Empfang genommen werden.
Parallel zur Vater-Kind-Gruppe haben die Väter einmal im Monat die Gelegenheit, an einer Reflexionsgruppe teilzunehmen. In diesem geschützten Rahmen werden Dinge, die in der Gruppe aufgefallen sind oder Thema waren, aufgenommen, besprochen und reflektiert – alles im Hinblick darauf, wie die Väter noch Anteil am Leben ihrer Kinder haben und ihre Vaterrolle trotz Inhaftierung wahrnehmen können. Dort haben sie die Gelegenheit, über sehr Persönliches zu sprechen, was sie vielleicht sonst innerhalb der JVA nicht tun würden.
Vielen Dank für den Einblick. Welche Herausforderungen habt ihr in den letzten 20 Jahren eurer Arbeit mit dieser Gruppe erlebt?
Beate: Zu Beginn gab es natürlich noch kein solches Vertrauensverhältnis zur JVA Nürnberg wie heute. Wir mussten uns über die Jahre hinweg eine gute Zusammenarbeit mit der Leitung und dem Sozialdienst erarbeiten. Anfangs hat die Arbeit mit Kindern bedenken ausgelöst, heute wissen wir, dass die JVA uns unterstützt und schätzen das sehr.
Ein weiteres, hartnäckiges Problem bleibt das Stigma, das mit der Inhaftierung verbunden ist. Dieses Stigma hat zur Folge, dass die Familien es in aller Regel verheimlichen, dass der Papa, Ehemann, Partner oder Ex-Partner im Gefängnis sind. Die Inhaftierung ist also mit viel Heimlichtuerei verbunden, was es für die Familien oft sehr schwierig macht: Heute sind eigentlich alle betroffenen Mütter berufstätig, das war vor 20 Jahre noch anders. Für die Mütter bedeutet es einen Kraftakt, ihr Kind am Dienstagnachmittag pünktlich um 14 Uhr zur JVA zu bringen. Denn es kann durchaus sein, dass das Kind bis 13:00 Uhr in der Schule ist und die Mutter bis 13:30 Uhr arbeitet. Sie muss es dann irgendwie koordinieren, dass ihr Kind pünktlich vor der JVA ist und es um 16:00 Uhr wieder abholen – vielleicht muss die Mutter sogar zwischendrein noch arbeiten. Ihr Arbeitgeber, vielleicht auch die Schule, weiß aber nichts von der Inhaftierung und dass das Kind zum Gefängnis muss, damit es seinen Vater sehen kann. Ich glaube, das war vor 20 Jahren für die Familien organisatorisch noch ein bisschen einfacher als heute.
Gibt es ein Erlebnis, das euch besonders in Erinnerung geblieben ist?
Stephanie: Ja, es gibt ein Erlebnis, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Ich begleite einen fünfjährigen Jungen in die Vater-Kind-Gruppe. Nach einem halben Jahr ohne Kontakt – sein Vater war in Untersuchungshaft – war dies sein erster Besuch. Der Junge war deutlich nervös und suchte Halt. Er nahm meine Hand, blieb dicht bei mir, und ich versprach ihm: „Alles wird gut, ich bin da und sorge dafür, dass du deinen Papa gleich siehst.“
Während wir auf dem Weg zur Gruppe waren, hat er mir zugeflüstert: „Ich habe meinen Papa so lange nicht gesehen. Ich weiß noch, wie er aussieht, weil zuhause überall Fotos vom Papa hängen. Aber ich weiß gar nicht mehr, wie Papa riecht, und ich weiß nicht mehr, wie die Stimme von meinem Papa klingt.“
Das fand ich wirklich besonders eindrücklich. Es macht sehr deutlich, mit welchen Themen die Kinder beschäftigt sind und mit welchen Gefühlen sie zu kämpfen haben, wenn ein Elternteil nicht da ist und nicht am Familienleben teilnehmen kann und was die Distanz für so ein Kind bedeutet.
Das war ganz besonders, dass er das mit seinen fünf Jahren so formulieren konnte. Man hat gesehen, wie sehr sie sich bei ihrem ersten Wiedersehen aneinander gefreut haben. Mittlerweile geht der Junge schon relativ routiniert zu seinem Papa. Man merkt ihm auch an, dass er in Folge Unsicherheiten abgelegt hat und es ihm sichtbar guttut, seinen Papa regelmäßig zu sehen. Seine Mutter bestätigt auch, dass er, seit er seinen Vater wieder regelmäßig sehen kann, wieder viel ausgeglichener ist. Es ist deutlich spürbar und erlebbar, dass der Junge von dem Kontakt zu seinem inhaftierten Vater wirklich sehr profitiert.
Wie hat sich die Gruppe im Laufe der Jahre entwickelt?
Beate: Wie bereits erwähnt, ist das Verhältnis zur JVA und zu diesem Angebot im Laufe der Jahre kontinuierlich gewachsen.
So etwas hat man nicht ab dem ersten Tag, sondern so ein Vertrauensverhältnis entwickelt sich durch eine gute Kooperation und dadurch, dass wir uns genau an die Vorgaben der JVA halten, dass wir alle Sicherheitsaspekte berücksichtigen und respektieren.
Es ist mir sehr wichtig zu betonen, dass es ein vehementer Unterschied ist, ob man so ein Angebot außerhalb der JVA, z.B. in einer Jugendhilfeeinrichtung durchführt, oder ob das in einem Gefängnis ist. Dort sind die organisatorischen Abläufe komplett anders.
Beispielsweise muss sich jeder Gefangene erstmal für die Teilnahme bewerben oder falls eine Trennscheibe vorhanden ist, muss zunächst diese entfernt werden dürfen, da er sonst nicht teilnehmen kann. Die Kinder dürfen ihren Vätern nichts mit reinbringen und müssen ihre Sachen vorher einsperren. Die Väter müssen gebracht und anschließend wieder zurückgebracht werden. Ohne die Unterstützung der JVA könnten wir das Angebot also gar nicht durchführen. Es sind sehr viele organisatorische Aspekte und Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen, die man nicht hätte, wenn man die Gruppe woanders durchführen würde.
Würdet ihr sagen, dass es ein Erfolgsrezept gibt?
Stephanie: Ein wesentlicher Teil des Erfolgs ist mit der guten Kooperation mit der JVA Nürnberg begründet. Einen ganz besonderen Dank sprechen wir daher der Leitung des Nürnberger Gefängnisses aus, aber auch dem zuständigen Sozialdienst.
Die Organisation der Gruppe teilt sich, wie gesagt, nach „innen“ und „außen“ auf. „Innen“ muss organisiert werden, dass der Gefangene teilnehmen kann – mit allen Sicherheitsaspekten, die so ein Strafvollzug mit sich bringt. Wir kümmern uns im „Außen“ um alles, was mit den Familien zu tun hat. Dieses Zusammenspiel macht es möglich, dass wir die Vater-Kind-Gruppe so zuverlässig, verbindlich und auch schon über eine so lange Zeit durchführen können.
Und zum Schluss: Welche Ziele gibt es für die Zukunft der Vater-Kind-Gruppe?
Stephanie: Wir wünschen uns natürlich, dass dieses Angebot nicht nur dauerhaft bestehen bleibt, sondern dass wir auch die Möglichkeit haben, neue Wege zu gehen oder neue Varianten auszuprobieren.
Zum Beispiel hätte ich die Idee, vielleicht mal eine Sportveranstaltung von Kindern und ihren Vätern in der JVA stattfinden zu lassen. Das ist, wie gesagt, nur so eine Idee. Vielleicht lässt sich das ja eines Tages realisieren.
Denkbar sind natürlich auch noch ganz viele andere Dinge.